Dies ist ein Aufruf, liebe Studenten: Lebt wie Studenten. Seht aus wie Studenten. In Passau hat man das leider bitter verlernt. Es scheint die schönste Sache der Welt zu sein. Wenn man das erste Mal vorm Spiegel steht und Hand anlegt, wenn der Kleine nach oben ragt, ganz steif und fest - das muss unbeschreiblich sein. Endorphine – so heißt´s – peitschen durch den Körper, und du hast das Gefühl, der Größte zu sein. Richtig potent eben. Du kannst es alleine machen, zu zweit oder auch in der Gruppe. Allerdings ist es ratsam, anfangs ein wenig zu üben, damit der treue Kamerad nicht schlaff macht beim ersten Herzeigen. Wovon ich rede? Vom Hemdkragenhochstellen, versteht sich. Gerade hier in Passau hat sich dafür eine breite Anhängerschaft gefunden. Erst waren es einzelne, aber mittlerweile gibt es da eine eigene Rasse, die species krago alto. Der eine sieht den anderen, und sofort scheint ein unsichtbares Band geflochten. „Ah, du auch“, denkt man sich und nickt dem anderen wissend zu. Der Kragen scheint für manche eine Art Persönlichkeitsspender zu sein, so wie für Clark Kent sein Cape. „Mit liegendem Kragen bin ich nur Olaf Armewurst, aber mit hochgestellten Kragen, da bin ich Super-Armewurst.“ Ganz im ernst, solche Helden braucht das Land, und ich bin froh, in Deutschlands Metropolis wohnen zu dürfen. Wäre das postpubertäre Kragengeklappe allerdings alles, dann gäbe es diesen Artikel nicht. Es geht hier mehr um einen fundamentalen Aufruf, zurück zu einem vernünftigen Studentenleben zu finden. Passau gilt als Elite-Uni, und das nicht ganz zu unrecht. Unsere Universität hat einen exzellenten Ruf im In- und Ausland, rangiert für Jura an der Spitze Europas und bietet mit Kuwi und Kuwi-BWL sogar Studiengänge an, die in dieser Form nur an der Hochburg Passau zu studieren sind. Das ist schön, und würde sich das Elitäre ausschließlich auf die Institution „Uni“ beziehen, wäre alles bestens. Dummerweise möchten hier aber viele Studenten das Elitäre personifizieren, Teil werden eines erlesenen Zirkels pseudo-privilegierter Schöngeister. Geht man durch die Uni, hat man das Gefühl, auf der Champs-Elysées zu promenieren. Wo man auch hinschaut, man sieht zutiefst gestylte „Adoleszenten“ - nonchalant plaudernd, leger schlendernd oder ausgeflippt Unfug treibend. Was für eine heile Welt. Männer schleimen ihre Haare mit Baumharz oder Motoröl zurück, manche Frauen tragen soviel Make-up, das sie dem Steinbeißer der unendlichen Geschichte ähneln. Und das alles für die Uni, Respekt. So sitzt unsere kleine Elite dann in der Cafeteria und kichert über geistige Blähungen, die so witzig sind wie der Immobilienteil der FAZ. Das entspricht wiederum einem alten Naturgesetz: Wer bei der Verteilung der Barbour-Jacken in der ersten Reihe stand, der kann nicht auch bei der Vergabe des Humors die Trümpfe in der Hand haben. Was uns direkt zum modischen Chic führt, zur Passauer „Uni“-form: Oben erwähnte Jacke, ein blaues Hemd im Winter und ein rosa Hemd im Sommer. Ob nun uni oder kariert, das bleibt jedem selbst überlassen. Manch Revoluzzer, manch Mode-James Dean trägt das Hemd sogar über der Hose, aber das passiert recht selten. Kürzlich habe ich einen feschen jungen Mann in einem rosa Polo-Shirt gesehen, dessen Kragen seinen halben Kopf umhüllte. Um den Hals trug er noch eine locker gebundene Krawatte und um den Oberkörper einen zusammengedrehten Pulli - so wie eine Schärpe. Er sah so erbärmlich aus, der Kleine, ich wollte ihn schon in den Arm nehmen und trösten, ihn einfach mal drücken. Manchmal drängt sich mir jedenfalls das Gefühl auf, in Passau herrsche eine Art Kastensystem - und die Knotentänzer und Seidenhalstuch-Tragenden (auch Männer) scheinen in der obersten Kaste angesiedelt. Sie meinen, das nötige savoir vivre zu haben, und glauben, gegenüber den unteren Kasten zu schillern, wie eine dänische Dogge neben einem kastrierten Zwergpekinesen. Für die oberste Kaste gibt es allerdings noch ein weiteres Zulassungskriterium. Kommen wir zum Statussymbol schlechthin, dem Seismographen der Etikette und der Legitimation, sich Brandon, Dillon, Kelly oder Donna nennen zu dürfen, kommen wir zu dem Objekt, welches zeigt, was Mann in der Hose und Frau in der Bluse hat, kommen wir zum Auto. BMW, 4er-Golf, Audi oder Mercedes, das ist die Klasse - Cabrio, versteht sich. Müde belächelt werden die, die sich aus einem Fiesta schälen oder ihren Punto zur Uni schieben. Es sollen sogar Sozialmutanten gesichtet worden sein, die auf seltsamen Zweirädern zur Uni kamen - grotesk. Ich für meinen Teil habe mir nun eine Rikscha samt Läufer aus Asien einfliegen lassen und bin wirklich gespannt, wie ich damit ankomme. Zu pauschal, werden viele denken, zu einseitig diese Kritik. Natürlich ist sie das! Hier wurde gnadenlos verallgemeinert und übertrieben, aber nur um den von mir empfundenen Missstand deutlicher zu machen. Ich bin sicherlich kein Öko und hätte ebenso wenig Lust, nur mit Müslis und Hippies zu studieren, die in der Vorlesung ihren Fencheltee trinken und ihre Kinder stillen. Nur hier in Passau ist die oben skizzierte Kragen-Gruppe die auffälligste, und daher wurde auch sie Opfer dieser Glosse. Um den Kern dieses Artikels also herausfiltern, möchte ich abschließend eine kleine Rhetorik-Anleihe bei Martin Luther King machen: Ich habe den Traum, dass ich eines Tages über unseren Campus laufe, und auf der Wiese sitzen verfilzte Rastas, die „Puff the Magic Dragon“ singen und einen riesigen Dübel rauchen. Ich habe den Traum, dass ein paar Meter weiter einige Vieraugen einen selbstgebauten Roboter über das Gelände steuern, sich aus Freude über ihr Werk zu den Rastas setzen und kräftig mitfeiern. Ich habe den Traum, dass die Blauhemden irgendwann einmal die Angst vor Grasflecken am Höschen verlieren, die Krägen anlegen und den Roboter der Vieraugen zur Tanke steuern, um für alle Bier zu kaufen. Alle „Kasten“ sollen zusammen Kästen trinken. Ich habe den Traum, dass der Student auch in Bars geht, wo Passauer zu finden sind, und dass der Passauer nicht alle Lokalitäten meidet, wo Studenten sind. Kurz: Ich habe den Traum, dass es bei uns eines Tages eine interessante Vielfalt gibt, nicht mehr diese lähmende Uniformität. Ich habe den Traum, dass unsere Uni eines Tages zur Charakter-Uni wird, weg von der Elite-Uni, die es momentan mehr denn je zu sein scheint.